Gegen die Behauptung vom „schlafwandlerischen“ Hineinstolpern der europäischen Mächte in den Krieg vertritt Heiner Karuscheit, dass der deutsche Weg in den Krieg innergesellschaftliche Ursachen hatte und stellt die zentralen Aussagen des Buchs in drei Punkten zur Diskussion:

Erstens: die Gesellschaftspolitik im Kaiserreich war durch ein „Dreiecksverhältnis“ zwischen Militäradel, Bürgertum und Arbeiterbewegung bestimmt. Die vielfach behauptete „Verschmelzung“ von Junkertum und Bourgeoisie zu einer einzigen herrschenden (bürgerlichen) Klasse ist eine Chimäre; die Arbeiterbewegung stand einem adelig-bürgerlichen Klassenbündnis gegenüber, in dem der preußische Gutsadel durch das Kommando über die Armee den Kern der Macht in der Hand hielt.

Zweitens: im Jahr 1909 zerbrach dieses hegemoniale Herrschaftsbündnis in einem unversöhnlichen Streit über die Besteuerung des Großgrundbesitzes, woraufhin das Deutsche Reich in eine schwere Krise von Gesellschaft und Staat geriet. Als die außerparlamentarische Stellung der Armee im Verlauf dieser Krise in Gefahr geriet, drängte der Militäradel im Bündnis mit dem schwerindustriellen Minderheitsflügel der Liberalen die Regierung in einen Krieg, dessen maßgebliche Triebkraft der Erhalt der alten Ordnung gegen Demokratie und Arbeiterbewegung war.

Drittens: die von der SPD verfolgte sozialistische Revolutionsstrategie war im Ansatz verfehlt, denn der Weg zum Sozialismus führte über die Vollendung der bürgerlichen Revolution, d.h. über eine demokratische Revolution. Die falsche Einschätzung der Gesellschaftsstruktur im Kaiserreich begünstigte die Entscheidung bei Kriegsbeginn, das angeblich bürgerlich-fortgeschrittene Deutschland gegen den feudal-reaktionären Zarismus zu schützen und die
Arbeiter zur Vaterlandsverteidigung aufzurufen.

Deutschland 1914 – Vom Klassenkompromiss zum Krieg
von und mit Heiner Karuscheit

Eine Veranstaltung der Jenny Marx Gesellschaft in Kooperation mit der Rosa Luxemburg Stiftung RLP
vom 18.11.2014
um 19 Uhr
in Neuwied, Am Güterbahnhof 15

Mitschnitt „Deutschland 1914 / Vortrag und Diskussion mit Heiner Karuscheit“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert